Herkunft und Verwendung von Illustrationen
Jede Textseite zu den Psalmen ist mit einer Illustration ausgstattet. In vielen Fällen folgt diese Illustration dem durchaus bestreitbaren Motto: Besser irgendein Bild, als gar keines. Das ist eine Konzession an die Lesegewohnheiten im Internet: Besucher, die auf eine Seite wie diese hier ganz ohne grafisches Element kommen, nichts als Text – früher nannte man so etwas „Bleiwüste“ – fühlen sich oft abgeschreckt und klicken weiter, ohne auch nur einen Satz vom „Blei“ gelesen zu haben. Deshalb haben alle unsere Textseiten mindestens ein Bildelement, das den Einstieg ins Lesen erleichtern soll – selbst wenn der Zusammenhang zwischen Bild und Text eher locker ist.
Bei den Psalmen ist das leider sehr oft der Fall, weil zumindest die von uns daraufhin durchgesehenen illustrierten Werke die Psalmen als solche praktisch kaum wahrnehmen, Sie bevorzugen sie Gegenstände, auf denen „etwas zu sehen“ ist, gerne ein Kriegsgetümmel oder ein mit Waffen oder Worten ausgetragener Zweikampf. Von daher illustrieren sie im Alten Testamen fast ausschließlich die erzählenden historischen Bücher, während die Psalmen – obwohl diese bei den Betern des 18. und 19, Jahrhunderts vielfach sehr populär waren – weitghend unberücksichtigt bleiben. Soweit Psalmen in der exegetischen Tradition historischen Erzählungen des Alten Testaments zugeordnet werden – Sintflut, David gegen Goliath, Zug durch das rote Meer, Verehrung des goldenen Kalbes – erfolgt die Illustration dort und nicht etwa im Zusammenhang mit einem Psalm, der vielleicht auch einen Anlaß dazu geben könnte. Soweit wir sehen, hat sich keiner der bekannteren Illustratoren des 18. oder 19. Jahrhunderts aufgerufen gesehen, das Buch der Psalmen als solches zu bebildern. Das gilt übrigens auch für die oft als „Psalterium“ bezeichneten illustrierten Stundenbücher (Laienbreviere) des Hochmittelalters. Sie enthalten zwar die zu den jeweiligen Tagzeiten und Festtagen zu betenden Psalmen, nehmen ihre (oft übrigens eher geringe Zahl von) Illustrationen anderen Büchern der Hl. Schrift oder der Tradition. Sie illustrieren die Offenbarung und den Glauben, nicht einzelne Bücher.
Das verweist auf ein anderes hier zu berücksichtigendes Problem. Die Psalmen sind ganz ihrer Natur gemäß sehr stark in der jüdischen Glaubenswelt verwurzelt. Sie sprechen von konkrete Gegenständen wie dem Tempel und den darin stattfindenden Opfern oder betonen abstrakte Konzepte wie etwa die Rache an Feinden Israels und seines Gottes oder die unmittelbare Vergeltung falschen Handelns durch göttliches Eingreifen – Vorstellungen, die dem christlichen Glauben eher fremd sind oder sogar direkt abgelehnt werden. Der Bezug zum christlichen Glauben muß vielfach erst in Kommentaren durch nicht immer leicht nachvollziehbare Allegorese oder Analogisierung hergestellt werden. Für Theologen ist das kein Problem – für Künstler und Illustratoren janscheinend jedoch edoch sehr. Unter den hier in erster Linie ausgewerteten Bibelillustrationen von Schnorr von Carolsfeld und Dore – zusammen um die 500 Bilder mit allerdings teilweise übereinstimmenden Gegenständen – findet sich praktisch kein Einziges, das den Tempel, die darin dargebrachten Opfer oder das Gebet des Frommen „in der ganzen Gemeinde“ illustrieren könnte. Die Illustrationen Nadals und der Bibel von Port Royal (zusammen sind das noch einmal deutlich mehr als 500 Tafeln) bieten hier punktuelle Ergänzungsmöglichkeiten – aber auch da waren wir vielfach auf sehr lockere Assoziationen agewiesen, um einen Zusammenhang zu konstruieren.
Aus der fast ausschließlichen Verwendung von Illustrationen von Carolsfelds und Dorés Bilderbibeln sowie ergänzend der Bibel von Port Royal ergeben sich interessante Kontraste. Die Holzschnitte nach Schnorr von Carolsfeld (und anderen) in der „Katholishen Bilderbibel“ sowie die Evangeliums-Illustrationen von Nadal sind stark didaktisch orientiert. - bis zu den mit A) B) und C)… in die Bilder eingestreuten Erläuterungen bei Nadal. Die Illustrationen von Doré sind demgegenüber stark von künstlerischen und ästhetischen Konzepten geprägt, während die der „Histoire de l'Ancien et du Nouveau Testament“ in der sog. Bibel von Port-Royal einerseits in ihrer Detailverliebtheit den Geist der Enyklopädisten atmen - und andererseits in Kleidung und Haltung der handelnden Personen oder der Darstellung von Schauplätzen (Architektur!) voll in ihrer Zeit befangen sind.
Das Problemfeld kann hier nur angedeutet und nicht ausgeleuchtet werden. Tatsache ist jedenfalls, daß die Psalmen ihres besonderen Charakters und ihrer ganz eigenen Querschnitts-Stellung in der Hl. Schrift wegen selten oder nie für sich oder gar fortlaufend illustriert worden zu sein scheinen. Und wenn unsereins sich dann aus den einleitend angedeuteten eher äußerlichen Motiven einer leserfreundlichen Gestaltung von Webseiten dazu verleiten läßt, dem vorhandenen Bildmaterial eine solche Nutzung abzunötigen, nimmt er in Kauf, daß dem einen oder anderen Bildbetrachter ganz und gar nicht einleuchten will, warum ein bestimmtes Bild zu einem bestimmten Psalm gestellt wurde. Vielleicht schreibt er uns dann eine Mail, damit wir gemeinsam darüber nachdenken.
Letzte Bearbeitung: 23. August 2024
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