Einführung – Vorwort

Besser gesagt: gleich zwei Vorworte.
(Und am Ende der Seite zwei wichtige Links)

Zwei Vorworte? Ja, der Der Psalter bringt nämlich sein eigenes Vorwort mit. Das ist Psalm 1, der z.B. noch von Lukas in der Apostelgeschichte (13; 3) als „Psalm 0“ betrachtet wird, denn für ihn ist das Lied, das wir heute als Psalm 2 betrachten, der erste Psalm und der Anfang der Preislieder. Jedenfalls steht die heutige Nr. 1 auch vom Inhalt her wie ein Vorwort vor dem gesamten Psalter, und alles spricht für die Ver­mu­tung, daß dieses Lied auch genau zu diesem Zweck gedichtet und gesungen worden ist. Wann und von wem ist unbekannt, vermutlich fällt die Abfassung eher in die spätere Zeit, als der Psalter aus verschiedenen Sammlungen zusammenge­stellt wurde. Und so, wie im gesamten Psalter auch sehr altes Lied- und Gebetsgut versammelt wurde, mögen auch die Worte und Gedanken von Ps 1 auf ältere Zeit zurückgehen.

Doch nun zu unserem eigenen Vorwort, das wir dazu nutzen wollen, eine kurze Auskunft über den Zweck und die Zielsetzung des Unternehmens Psalterium zu geben. Die Kirche liest die Psalmen seit Alters her aus christologischer Perspektive als prophetische Vorausschau auf Christus und sein Erlösungswerk. Das ist keine theologische Erfindung, sondern geht unmittel­bar aus dem Psalmenverständnis des neuen Testaments hervor, wie es in vielen Schriften das Apostels Paulus, aber mehrfach auch in den Worten Christi selbst, zum Ausdruck kommt. Vom Abschluß der Offenbarung her gesehen kann also überhaupt kein Zweifel daran bestehen, die Psalmen in der Vorausschau auf den Messias zu interpretieren, und Kirchenväter wie Augustinus haben denn auch buchstäblich in jedem Vers jedes Psalms den Hinweis auf Christus gefunden - des öfteren auch da, wo das so durch eine einfache Betrachtung des Textes nicht zu stützen ist.

In glaubensstarken Zeiten mag das leicht nachvollziehbar gewesen sein. Die Psalmen waren im Osten wie im Westen über ein Jahrtausend lang nicht nur Interpretationsobjekt von Gottesge­lehrten und Gebets-, ja Lebensinhalt frommer Mönche, sondern auch der Gebetsschatz des ein­fachen christlichen Volkes. Viele Psalmen waren ein Jahrtausend lang wahrhafte „Volkslieder“ , die den Alltag auch der weniger Frommen vom Aufstehn bis zum Einschlafen und bei der reichlichen Arbeit und spärlicher Erholung begleiteten. Der „David“, so eine gebräuchliche Bezeichnung für das Buch der Psalmen im ganzen Mittelalter, war die prophetische Vorausschau des alten Testaments auf Christus und sein Erlösungswerk schlechthin.

Soweit die Psalmen Israels für die jüdischen Beter übehaupt eine messianische Blickrichtung hatten und haben – und das ist nur beim kleineren Teil der Fall – richtet sich dieser Blick in sehr unscharfer Weise auf eine Hoffnung für die Zukunft, oft mehr auf das irdische als das ewige Heil, und kann sich nicht – wie bei Augustinus und den anderen Kirchenvätern – auf eine gesicherte Offenbarung aus bereits geschehener Geschichte stützen. Wie Vexierbilder zeigen die Psalmen je nachdem, von welcher Seite aus man sie betrachtet, ein sehr unterschiedliches Bild. Das eine wird vom überlieferten Text der Zeit vor Christus – und eben diesen Text hat der Beter vor Augen und auf der Zunge - gezeichnet, das andere von der Sicht des Evangeliums her bestimmt. Diese Bilder sind nicht nur unterschiedlich, sondern teilweise sogar widersprüchlich, und sie miteinander zu vereinbaren ist keine leichte Sache. Man kann sich das leicht machen, indem man alleine das Bild aus der Sicht des Evangeliums vor Augen stellt – und damit beim Beter der Gegenwart eine kaum erträgliche „kognitive Dissonanz“ hervorrufen. Vielleicht liegt darin ein Grund dafür, daß das Psalmengebet seit einem Jahrhundert so weitgehend aus der Übung gekommen zu sein scheint.

Unser Erklärungsversuch stellt sich die Aufgabe, bei der vorliegenden Testgestalt und dem (vermutetem) Verständnis des Beters im alten Testament anzusetzen und von daher Verständnis­brücken für den heutigen christlichen Beter zu schlagen. Denn der Text und nicht die Kommen­tar­werke von zwei Jahrtausenden sind das, was der Beter vor Augen und auf den Lippen hat. Dieser Brückenschlag ist nicht immer leicht. Wäre er das, wären mehr Juden aus der Zeit Christi über diese Brücke gegangen und wären nicht auf ihrer Seite stehen geblieben, um noch weiter Jahrtausende auf den von ihnen erhofften ganz anderen Messias zu warten. Vergeb­lich, wie man ihnen von Trauer erfüllt zurufen muß, denn einen anderen Messias als den in Bethlehem geborenen wird es für die leiblichen Kinder Israels nicht geben.

Der Ansatz beim Verständnishorizont des Alten Testamentes bedeutet natürlich, dem Text, wie er (in den verschiedenen Traditionen) heute vorliegt, mehr Bedeutung beizulegen als das oft von den Christen gemacht wird. Der „Literalsinn“ gewinnt an Gewicht. Damit rücken auch die historischen Umstände seiner Entstehung und die Beziehung zur ganz persönli­chen Lebenswelt des jüdischen Beters ins Blickfeld. Allerdings gibt es bei alledem dem viele Unbekannte. Die Textüberlieferung ist an zahlreichen Stellen ganz und gar nicht eindeu­tig, und auch im Wissen um die Lebensumstände der Menschen des ersten Jahrtausends vor Christus klaffen viele Lücken. Das gilt auch für Religion und Glauben des Volkes Israel, deren in den Psalmen erscheinendes Bild aus unserer Sicht überraschend viele blinde Stellen aufweist.

Eine Antwort auf die naheliegende Frage, warum das Psalterium keine deutsche Übersetzung enthält, finden Sie unter dem hier gegebenen Link.

Mehr aufs Praktische gerichtete Fragen für den Umgang mit dem „Psalterium“ beantwortet die Gebrauchsanweisung.

Letzte Bearbeitung: 23. August 2024

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