Deus, quis similis — Ps. LXXXII (83)

Rechts kommt gerade Barak, der Sisera verfolgt - in der linken Bildhälfte die tapfere Jael, die den feindlichen Hauptmann soeben bereits mit einer List getötet hat

„Mach es mit ihnen wie mit Midian und Sisera!“        (82; 10)

Mit diesem Pslm kehrt das 3. Buch wieder zu den Not- und Klageliedern des von seinen Feinden bedrängten Volkes Israel zurück. Ein erster Teil (2 – 9) bringt eine intensive Schilderung der Notsituation, die in eine umfassende Liste der Völker mündet, die sich gegen Israel und seinen Gott verschworen haben. Damit ist kein bestimmtes datierbares Bündnis gemeint, sondern die Gesamtheit der Nachbarvölker mit denen Israel im Lauf seiner Geschichte im Kampf stand Die Philister im Westen, die Moabiter und Ammoniter des Ostens, die Edomiter des Südens und schließlich auch die Assyrer des Nordens, um sie zumindest ungefähr den Himmelsrichtungen zuzuordnen. Bei allen handelt es sich um direkte Nachbarn in der Welt der Bibel – außer bei den Assyrern, die erst später in Kontakt mit Israels kamen. Die zumindest historisch dem Volk Israel näher gelegenen Ägypter wir bemerkenswerter Weise nicht erwähnt, auch die alten Erbfeinde, die Kanaaniter, nicht – vermutlich sind sie hier mit den Philistern zusammen gemeint. Bei den Philistern gibt es einen ersten bestürzend aktuellen Bezug: Schreibt man von ihrem Namen nur die Konsonanten Plst, so kann man das auch als Palästina oder Palästinenser lesen. Die Gleichsetzung ist umstritten, aber auch nicht völlig von der Hand zu weisen: Sollte dieser Konflikt schon seit drei Jahrtausenden anhalten?

Noch bestürzender ist eine zweite aktualisierende Lesart von Vers 5, in dem es heißt: „Wir wollen sie ausrotten als Volk, und niemand soll mehr an den Namen Israel denken“. Das war exakt das Programm der deutschen Nationalsozialisten, und auch bei ihnen richtete sich der Angriff, wie Papst Benedikt seinerzeit bei seiner Rede in Auschwitz bemerkt hat, nicht allein gegen die Juden als Volk, sondern auch gegen ihren und unseren Gott, wie es hier in Vers 6 ausgesagt ist. Und Gott selbst, so scheint es, schaut dem schweigend zu. Diese Klage und Anklage ist der Ausgangspunkt dieses Psalms, und die daraus formulierte Frage hallt er seitdem durch die Jahrhunderte, bis ins 20. Jahrhundert und darüber hinaus. Psalm 82 gibt darauf keine Antwort – vielleicht deshalb nicht, weil sie im Grunde schon in Psalm 80, 13 gegeben ist: Wenn die Völker sich mit verstocktem Herzen von Gott abwenden, dann läßt er zu, daß sie „nach ihren eigenen Plänen“ handeln und sich und anderen Dinge antun, die an Schrecken und Leid nicht zu überbieten sind. Erst wenn die Welt neu geschaffen ist, die sich die Juden – wenn auch mit vielerlei Unvollkommenheiten – vom Messias erhofften und von der der Seher Johannes sagt, daß dort „jede Träne getrocknet und kein Leid mehr sein wird“ (Offb. 21, 4) wird diese Frage nach der Gerechtigkeit Gottes ihre Antwort finden.

So weit in die Zukunft und die Geheimnisse Gottes vorausschauen konnten die Verfasser von Psalm 82 noch nicht. Der zweite Teil des Psalms (10 – 17) beginnt daher mit einer Reihe von Straf- und Rachebitten, die den Zorn Gottes auf die Feinde herabrufen wolen. Der Psalm greift dabei auf die Geschichte Israels zurück, in der Gott – zumindest wie es dem Beter erscheinen mochte – mit Macht und Gewalt in den Gang der Dinge eingegriffen hat, um sein Volk zu retten. Dabei meidet der Psalmist auch nicht ein Bild, vor dem wir heute wohl nicht nur aus Empfindsamkeit zurückschrecken würden, wenn es in Vers 11 heißt: Die Gefallenen wurden zum Dung für die Äcker“. Dem Vernichtungswillen der Bösen steht ein ebenso starker Wille zu dessen Auslöschung auf Seiten der Guten gegenüber. Erst in den letzten Versen (ab 17) deutet sich ein Erlösungsangebot auch für die Feinde Israels und Gegner Gottes an: Sie sollen erkennen, daß Du es bist, „Herr“ ist Dein Name. Auch wenn dazu nicht gesagt wird, daß das sie vor der Vernichtung bewahren könnte, scheint das doch ein kleines Fenster der Hoffnung zu öffnen.

Im übrigen bietet dieser letzte Vers ein weiteres Beispiel für die Problem, die daraus entstanden sind, daß die Übersetzer der Septuaginta – und im Anschluß daran auch die der lateinischen Fassungen – nicht nur davor warnen wollten, den Namen Gottes auszusprechen, sondern auch darauf verzichteten, ihn zu schreiben. Denn so, wie es in diesen Übersetzungen bis in die Gegenwart da steht, macht der Satz natürlich keinen wirklichen Sinn: Was soll das heißen: „Herr ist Dein Name“? Im geschriebenen Text steht: Sie sollen einsehen, daß der Name des wahren Gottes „Jahweh“ ist – und daß all die, deren Herren Namen wie Marduk oder Baal hatten im Irrtum sind. Es gibt nur den einen wahren Gott, das ist der Gott Israels, und dessen Name ist Jahweh – den die Angehörigen seines Volkes aus Ehrfurcht nicht auszusprechen wagen.

Letzte Bearbeitung: 13. April 2024

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