Fundamenta ejus — Ps. LXXXVI (87)
„Doch von Zion wird man sagen: Jeder ist dort geboren.“ (86; 5)
In vielen Psalmen findet sich gleichsam am Rande die Erwartung, ja die Gewissheit, ausgedrückt, daß am Ende der Geschichte alle (Heiden-)Völker den Gott Israels als den einizig wahren Gott anerkennen und ihn in seinem Tempel anbeten werden. Der kurze – nur sieben Verse lange – Psalm 86 ist ganz diesem Gedanken gewidmet. Und obwohl die hebräische und die griechische Texttradition in vielen Einzelheiten voneinander abweichen und schwer verständliche Stellen aufweisen, ist dieser Grundgedanke in beiden Traditionen klar erkennbar.
Der einleitende Vers scheint zurück zu verweisen auf die frühe Zeit, in der Israel seinen Gott noch in mehreren Tempeln, auf mehreren Bergen, verehrte – doch schon immer war ihm der Zionsberg die liebste unter all seinen heiligen Stätten. Man tut wohl nicht unrecht, wenn man diese Einleitung als Nachklang der Reformen von König Josia im 6. Jahrhundert betrachtet, der den Kult des Einen Gottes auf dem Einen Berg Zion in Stadt und Tempel von Jerusalem zentralisierte. Spätestens seit dieser Zeit war Jerusalem das machtvolle Zentrum der Jahweh-Verehrung. Allerdings war dieses Zentrum wohl nie unbestritten. Die nicht zuletzt deshalb als Abtrünige und Häretiker verachteten Samaritaner blieben unbeirrbar bei ihrem Jahweh-Heiligtum auf dem Berg Garisim, etwa 50 km nördlich von Jerusalem. Und die Essener – bei denen möglicherweise Johannes der Täufer einen Teil seiner Lehrjahre verbrachte – lehnten Jerusalem und seinen Tempel strikt ab und hatten sich deshalb in die Wüste zurückgezogen.
Doch diesen einheimischen Konkurrenten des Zion schenkt Psalm 86 keine Beachtung – er richtet den Blick auf das große Ganze. In den Versen 4 und 5 wendet er sich einigen Hauptorten der damaligen Welt zu, nennt Rahab (wohl Ägypten) und Babylon, außerdem Tyrus, die Philister, und die Äthiopier – größtenteils alte Feinde, unter denen Jerusalem oft schwer zu leiden hatte. Alle Menschen dort sind stolz (die Texterklärungen und dementsprechend die Übersetzungen sind hier sehr unsicher) darauf, eingeborene Bürger dieser Städte zu sein – doch von allen wird es (am Ende der Zeiten) heißen sagen: Sie sind in Jahwehs Stadt Zion geboren und dort eingeschrieben. (Verse 5 und 6)
Dem siebten und letzten Vers ist sowohl nach Septuaginta/Vulgata als auch im Hebräischen erst nach einger „Textverbesserung“ und beträchtlicher Vorab-Interpretation einiger Sinn abzuringen. Die westliche Tradition liest hier etwa „Bei Dir zu wohnen ist erfüllt von Fröhlichkeit“. Die Einheitsübersetzung, die sich auf eine von mehreren möglichen Rekonstruktionen des hebräischen Textes stützt, liest: „Und sie werden beim Reigentanz singen: All meine Quellen entspringen in dir.“ Mit der gebotenen Großzügigkeit betrachtet, ist beides gar nicht so unvereinbar weit voneinander entfernt, und das Bild von den in der himmlischen Stadt Gottes entspringenden Quellen – in der irdischen Zionsstadt gab es keine Quellen, nur Zisternen – ist nicht nur ein wunderschönes Symbol, sondern erinnert auch an die lebensspendenden Quellen im Garten des Paradieses, dessen gebautes Abbild der Tempel auf dem Zionsberg schließlich war.
Letzte Bearbeitung: 15. April 2024
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