Bonum est confiteri Domino — Ps. XCI. (92)

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Dieser verhältnismäßig kurze Psalm ist ein Loblied auf die Wohltaten und die Gerechtigkeit des Herrn, das trotz einiger sprachlicher Probleme sowohl im masoretischen Text wie in den Texten der griechischen und lateinischen Tradition in seinem geradlinigen Gedankengang wenig Verständnisschwierigkeiten aufwirft. Daneben gibt der Psalm einen Einblick in Form und Inhalt des Gebetes eines frommen Juden. Der Psalm beginnt mit einer Bekräftigung von Wert und Wichtigkeit des Gebetes, das den ganzen Tag erfüllen oder zumindest dessen Eckpunkte Morgen und Abend hervorheben soll. Dieses Gebet wird als Gesang unter Begleitung von Musikinstrumenten vorgestellt – zumindest in seiner Idealform ist das Gebet gemeinschaftlicher Gesang. Ein zweiter Abschnitt (Verse 5 – 10) benennt den Grund für das Gebet: Freude über und Dank für die guten Werke Gottes, die nur von Toren nicht als lobwürdig erkannte werden. Dem schließt sich ein zweiter Gedanke an: Neben den Toren gibt es auch die „Frevler“ (der Übergang von den Toren scheint fließend), die ihre Freude darin finden, Unrecht zu tun – doch sie können Gott nicht widerstehen und gehen elend zugrunde.

Demgegenüber werden die Frommen – und hier zeichnet der Psalm zwischen den Versen 10 und 11 einen harten Gegensatz (ganz ähnlich wie in Psalm 1 zwischen den Versen 3 und 4) reich belohnt: Durch Wohlstand und soziale Stellung (das steht hinter dem Bild des hoch erhobenen „Hornes“, das ursprünglich wohl ein Göttern und Königen eigenes Würde- und Ehrenzeichen darstellt). Dazu durch Gesundheit, Stärke und reiche Nachkommenschaft im hohen Alter (eine denkbare Lesart von Vers 15) und durch die Genugtuung, die sie dadurch erfahren, daß sie über Frevler und Feinde – und jeder, der sich gegen die Frommen stellt, wird dadurch zum Frevler – thriumphieren können (Vers 12). Der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist unhintergehbar. Gute Taten werden belohnt, böse werden bestraft – und zwar noch in diesem Leben. Nach dem Tode sind Gute wie Böse gleicherweise der Hand Gottes entzogen (Psalm 87,6) und führen eine freudlos-graue Schattenexistenz im Schehol, von der man nicht so genau sagen kann, ob das überhaupt noch eine Existenz ist.

Struktur und Gedankenführung von Psalm 91 erscheinen zunächst sehr einfach, ja geradezu primitiv: Ein erster Absatz (1 – 5) beschreibt die Motivation und die Rahmenbedingungen zum Gebet aus der Sicht des Beters. Ein zweiter Teil (6 – 10) enthält eine lehrmäßige Darstellung des Tun-Ergehens-Zusammenhangs, der hier als eines der Grundelemente des jüdischen Glaubens überhaupt kenntlich wird. Der dritte Teil (11 – 16) zieht daraus die Konsequenz für das Leben der in Worten und Werken Frommen: Ihre Belohnung ist Wohlergehen und langes Leben, ganz so, wie es an vielen Stellen des alten Testaments (z.B. Exodus 20, 12; Deuteronominum 5, 16; Jeremias 35, 7) gesagt wird und auch im Neuen Testament noch anklingt, wenn es im Epheserbrief (6, 3) heißt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter: Das ist ein Hauptgebot und ihm folgt die Verheißung: damit es dir gut geht und du lange lebst auf Erden“.

Für das Neue Testament, das den Tun-Ergehens-Zusammenhang zwar nicht auflöst, seine Erfüllung jedoch vorzugsweise im Jenseits verortet, erscheint das fast wie ein Fremdkörper. Ganz anders für den frommen Juden, der gerade darin, daß der Zusammenhang noch in diesem Leben und vor aller Augen sichtbar wird, eine Art Gottesbeweis oder zumindest doch Bekräftigung des göttlichen Wirkens unter den Menschen erblickt: Das Wohlergehen der Gerechten kündet von der Gerechtigkeit des Herrn (16). Damit steht Psalm 91 ganz in einer Linie mit Psalmen wie z.B. 25 oder 32, für die die Vergeltung noch in diesem Leben geradezu dogmatischen Rang hat – und im Widerspruch zu Psalmen wie 17, die realistisch einräumen, daß es oft genug gerade die Bösen sind, die in Ehren und Wohlstand sterben – und die von daher offener für den Gedanken sind, daß volle Gerechtigkeit erst in einem Leben nach dem Tode zu erwarten ist.

Letzte Bearbeitung: 16. April 2024

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