Dominus regnavit — Ps. XCII. (93)

Die Gottheit - hier nur angedeutet mit dem strahlenden Dreieck der Dreifaltigkeit - thront hoch über der Schöpfung, der Erde mit ihren Bewohnern, den Sternen und dem Weltall.

„Dein Thron steht fest von Anbeginn, Du bist seit Ewigkeit“ (92; 2)

So kurz Psalm 92 mit gerade einmal fünf Versen auch sein mag, so enthält er doch ein gewaltiges, den ganzen Kosmos umspannendes Preislied auf den Schöpfer der Welt und Herrscher des Universums. Der erste Abscnhnitt (1, 2) beschreibt und begründet die Herrschaft Gottes ausführlicher – soweit das in zwei Versen überhaupt möglich ist. Der Herr ist allmächtig und ewig, und auch seine Schöpfung, der Erdkreis, wird ewig bestehen. Der zweite Teil (3, 4) gibt dann Auskunft über das Weltbild, in dem dieser Erdkreis seinen Platz hat: Er ist ringsum von der tobenden und brausenden Urflut umgeben, die von der überlegenen Macht des Herrn in Schach gehalten wird.

Dieses Weltbild begegnet uns in vielen Psalmen, es stammt aus dem gemeinsamen kosmologischen Erbe der altorientalischen Kulturen: Ein guter Schöpfergott hat die Erde der meist als böse betrachteten, in jedem Fall aber chaotischen, Urflut, abgerungen. Die Frage, ob diese Urflut eigene Existenz hat oder ebenfalls Gottes Schöpfung ist, hat die frommen Juden – oder zumindest die Sammler und Bearbeiter der Bücher des Alten Testamentes – nicht sonderlich beschäftigt. Das Wasser selbst, zumindest in seiner Form von Flüssen und Meeren, geht, wie im Schöpfungsbericht von Genesis 1 ausgeführt wird, aus dem Schöpfungsakt Gottes hervor. Es geht in vier Strömen vom Garten des Paradieses aus und ist die sichtbare lebensspendende Kraft für alles, was lebt. Aber im Hintergrund hört man doch immer wieder auch das bedrohliche Rauschen der Urflut, die den Menschen und seine Werke ins Chaos zurückzureißen droht, hätte der Herr ihr nicht eine Grenze gesetzt, die sie nicht überschreiten dürfen (Psalm 104, 9).

Das geht natürlich auch auf Erfahrungen aus der Lebenswelt des in Steppen und Wüsten umherziehenden Volkes Israel (und seiner Nachbarn ebenfalls) zurück: Im Prinzip ist das Klima von Trockenheit bis Dürre bestimmt, Wasser wird mühsam aus Brunnen gefördert oder mit dem Tau aufgnommen – aber wenn es denn einmal richtig regnet, wird der seit Menschengedenken trockene Wadi schnell zum reißenden Strom, der das unvorsichtig angelegte Lager und die spärliches Grün zupfenden Herden wegzureißen droht. In keinem anderen Psalm wird die Macht dieser Urflut so elementar und überwältigend gekennzeichnet, wie hier im zweiten Abschnitt von 93, und das hat seinen Grund: So gewaltig Urflut und Wolkenbrüche auch toben mögen – gewaltiger ist der Herr in der Höhe (4).

Der letzte Vers zieht dann aus dem vorher Gesagten die geistliche und die säkulare (wenn man das denn trennen könnte) Nutzanwendung: Die Gesetze des allmächtigen Gottes verlangen Geltung und Anerkennung von allen, und sein Tempel auf dem Zionsberg ist Zentrum und Bezugspunkt für die ganze Welt.

Letzte Bearbeitung: 16. April 2024

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