Dominus regnavit — Ps. XCVI. (97)
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Auch Psalm 96 fügt sich vom Inhalt her bruchlos in die Reihe der Lobgesänge auf den Herrn als König Israels und der ganzen Welt ein. Tatsächlich beginnt er mit der gleichen Feststellung, die bereits Psalm 92 einleitete: Der Herr ist König. Und ähnlich wie dort die Wendung „der Erdkreis ist fest gegründet“ das Herrschaftsgebiet umschreibt, übernimmt hier die Aufforderung „Die Erde frohlocke, die vielen Inseln sollen sich freuen“ die gleiche Funktion.
Von „Inseln“ ist in den Psalmen nur noch an einer einzigen weiteren Stelle die Rede (in 71), und dort im Zusammenhang mit dem Ortsnamen Tarschisch. Einer der Versuche, diesen Ort zu lokalisieren, zielt auf die Südküste Spaniens, vielleicht ist hier die Meerenge von Gibraltar gemeint – vom Heiligen Land aus gesehen wahrhaftig das Ende der bewohnten Welt. Die vielen Inseln lägen dann noch weiter außerhalb, so wie in manchen Vorstellungen einer Scheibenwelt ein zentraler Kontinent an seinem Rand noch von vorgelagtern Inseln umgeben ist. Eine ähnliche Wendung, bei der die Bedeutung zweifelsfrei zu erkennen ist, findet sich im 42. Kapitel des Jesaias-Buches, wo es in Vers 10 heißt: „Singt dem Herrn ein neues Lied, verkündet seinen Ruhm bis ans Ende der Erde. Es jauchze des Meer, und alles was es erfüllt, die Inseln und ihre Bewohner.“
Wie in den anderen Psalmen dieser Reihe wird hier also zunächst der universelle Anspruch des Königtums Jahwehs proklamiert. Noch ausdrucksstärker als bereits in Psalm 94 stellt dabei die Sprache unter Verwendung von Bildern, die in die früheste Zeit des Jahweh-Glaubens zurückreichen, die furchterregende Majestät des Herrn vor Augen. Tatsächlich ist hier gegenüber den Psalmen 94 und 95 ein deutlicher Unterschied in der Tonart festzustellen: Wo diese beiden das Königtum Jahwehs eher im Modus einer „Frohbotschaft“ verkünden, klingt bei 96 in Vers 3 und dann noch einmal in Vers 7 unverkennbar eine „Drohbotschaft“: Feuer verzehrt Gottes Gegner, und die Götzendiener werden zerstreut und vernichtet. Die oft verwandte Übersetzung des hier gebrauchten Verbs als „beschämt werden“ greift wohl nur einen harmloseren Teilaspekt des umfangreicheren Bedeutungsfeldes dieses Wortes auf.
Nein, während der vorhergehende Psalm eher auf die schließliche Bekehrung des ganzen Menschengeschlechtes zu Jahweh abzuzielen scheint, markiert Psalm 96 demgegenüber die Tiefe des Gegensatzes zwischen den Verehrern des einzigen wahren Gottes und den Götzendienern und Frevlern. Die ersteren können auch im Gericht, wenn die Welt wieder „richtig gemacht“ wird, jubeln und sich freuen – den anderen droht der Untergang. Diese beiden Aspekte der göttlichen Gerechtigkeit waren im Glauben Israels keine Gegensätze, dieeinander ausschließen, sondern Pole, die sich gegenseitig bedingen – und daran als Teil der geoffenbarten Wahrheit muß auch das Christentum festhalten.
Mit dem Jubel derer, die sich bestätigt sehen können, auf der richtigen Seite gestanden zu haben, weil sie dem Herrn der Erde und der ganzen Schöpfung die gebührende Anerkennung entgegen brachten und mit dem feierlichen Ausdruck dieser Anerkennung (Vers 9), könnte der Psalm eigentlich seinen Abschluß finden – und möglicherweise war das ursprünglich auch einmal der Fall. In der überlieferten Form schließen sich hier jedoch noch drei weitere Verse an, die vom beschreibenden Duktus des Vorhergehenden abweichen und sich im Stil einer weisheitlichen Ermahnung an den Beter direkt richten, um ihm so die lebenspraktischen Konsequenzen noch einmal ausdrücklich einzuschärfen: Liebt den Herrn und hasst das Böse, freut euch am Herrn und preist seinen heiligen Namen!
Ein Punkt bleibt noch anzusprechen, und der betrifft einen zumindest auf der sprachlichen Ebene erkennbaren Unterschied in der Haltung gegenüber den vielen Göttern, die das geistige Leben der Israel umgebenden Völker regierten und von dort aus auch immer wieder in den Jahweh-Glauben eindrangen. Psalm 95 wischt diese Götterwelt in Vers 4 und 5 gleichsam mit einer lässigen Handbewegung beiseite: All diese vermeintlichen Götterwesen haben keine eigene Existenz, sondern sind (menschengemachte) Götzenbilder. Alles, was wirklich existiert, ist von Jahweh geschaffen.
Psalm 96 scheint hier in den Versen 7 – 9 etwas weniger entschieden – in moderner Verschleierungssprache würde man vielleicht sagen: differenzierter – vorzugehen – zumindest gilt das für die traditionelle hebräische Fassung. Auf der einen Seite greift er die Beschreibung der falschen Götter als Götzenbilder im vorangehenden Psalm auf und verstärkt dieses noch durch den ausdrücklichen Hinweis auf deren Herstellung: Aus Holz geschnitzt oder in Stein gehauen – was wir oben mit dem eingeklammerten (menschengemachte) vorweggenommen haben. Diese Leblosigkeit der von Menschenhand aus totem Material gemachten Götterbilder wird in einer in zwei Psalmen (113 und 134) vorkommenden Formel eindrucksvoll beschrieben: „Sie haben einen Mund, und reden nicht, Augen, und sehen nicht, Ohren und hören nicht….“ Sie sind tot, oder wie oft durchaus treffend übersetzt wird: „;nichtig“, denn sie sind nicht wirklich. Doch dann scheinen sie (in Vers 7) doch kurz zum Leben zu erwachen, wenn sie aufgefordert werden: „Betet ihn an, all ihr Gotteswesen“. Wobei der hebräische Text ihr für diese „Gottsrwesen“ das gleiche Wort „Elohim“ verwendet, mit dem er auch den einen und einzig wahren Gott bezeichnet. Hier ist also möglicherweise noch ein Nachhall der alten Unklarheit zu vernehmen, in der die Juden sich noch nicht vollständig aus dem Vielgötterglauben gelöst hatten. Die kanonischen Schriften des alten Testaments enthalten hierzu nur (noch) schwer interpetierbare Hinweise, einige apokryphe Texte insbesonder aus der Enoch-Literatur sind dazu etwas ausführlicher, aber kaum besser verständlich. Danach hatten zumindest einige Schulen des Judentums eine ganze Vielzahl von Gotteswesen angenommen, die entweder in ihrer Gesamtheit den einen Gott ausmachten – so wie die Monate ein Jahr bilden – oder sie sahen diese Gotteswesen in einer hierarchischen Ordnung mit Jahweh an der Spitze.
Bereits die jüdische Septuaginta – die etwa in der gleichen Zeit entstand wie die heute vorliegenden Enoch-Apokryphen – befreit sich von dieser Unklarheit mit der gleichen Entschiedenheit, die auch schon Psalm 96 kennzeichnet: Sie beendet die Rede von den Götzen und Götterbildern mitten in Vers 7 und richtet die Aufforderung zur Anbetung an die theologisch unbedenklichen „Himmelswesen“ der Engel. Die christliche Vulgata folgt dem ebenso kurz entschlossen: Adorate eum omnes Angeli ejus! Ein schönes Beispiel dafür, wie die christliche Lesart von AT-Passagen zumindest an einigen Stellen eben keine christliche „Neuinterpretation“ darstellt, sondern organisch aus der innerjüdischen Entwicklung hervorgegangen ist. Und ein bedrückendes Beispiel dafür, wie der inzwischen auch von der katholischen akademischen Theologie vollzogene Übergang zur protestantischen Bibellektüre des späten 19. und beginnenden 20. Jh. grundlegende Einsichten in den Offenbarungsprozess verschleiert. In diesem Fall besonders problematisch, weil der fragliche Vers im theologisch so überaus schwergewichtigen „Brief an die Hebräer“ (1, 6) als Spruch aus dem Munde Christi selbst zitiert wird – und zwar mit dem von der Septuaginta überlieferten Wortlaut: Alle Engel sollen ihn verehren.
Letzte Bearbeitung: 16. April 2024
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