Cantate Domino canticum novum— Ps. XCVII. (98)

Das ist der Alttext

„Der Herr hat sein Heil bekannt gemacht und sein gerechtes Wirken enthüllt vor den Augen der Völker“. (97; 2)

Schon in seinem ersten Vers gibt Psalm 97 zu erkennen, daß er zur Reihe der Lobpsalmen gehört, die mit 92 begonnen hat. Tatsächlich beginnt er nicht nur mit den gleichen Worten wie Psalm 95: „Singet dem Herrn ein neues Lied“ – er endet auch mit dem gleichen Schlußvers wie dieser: „Denn er wird wahrhaftig kommen, um die Welt zu richten, er wird den Erdkreis richten in Gerechtigkeit, die Völker nach Gebühr“. Nur das letzte Wort unterscheidet sich – hier steht in 97 statt „Gebühr“ „Wahrheit“. Der erste Satz von Vers 4 begegnet uns wieder als zweiter Satz von Vers 1 in Psalm 99: „Jubelt dem Herrn zu, alle Länder der Erde“, und den Aufruf „Es brause das Meer, und alles was es erfüllt“ kennen wir schon aus 95, 11. Die historisch-kritische Methode hat versucht, diese Zusammenhänge mit ihren Mitteln aufzuklären, und dabei letztlich doch wenig mehr herausgefunden, als das, was auch der aufmerksame Leser und andächtige Beter leicht erkennen kann: Die Psalmen dieser Reihe stehen in einem engen inhaltlichen Zusammenhang und versuchen, teilweise aus leicht unterschiedlichen Blickwinkeln, das Lob Gottes gleichermaßen zu begründen wie in lebhaften Farben auszumalen und in jubelnden Tönen zu verkünden.

Das nachzuvollziehen wird auch dem christlichen Beter wenig Schwierigkeiten bereiten – selbst wenn die Sprachbilder von den jauchzenden Bergen und den in die Hände klatschenden Strömen zunächst Erstaunen oder sogar Befremden hervorrufen können.

Ein tiefer gehendes Verständnisproblem tut sich da auf, wo in dieser Reihe der Lobpsalmen immer wieder ausgesagt wird, daß einer der Gründe dafür, Gott zu preisen, darin besteht, daß er als Richter die Guten belohnen und die Bösen bestrafen wird. Die Psalmen 95 – 97 sind da ganz eindeutig: Gerade die Gewissheit, daß Gott Richter sein wird, ist Grund, ihm zuzujubeln und ihn zu preisen. „Judas Töchter bejubeln deine Richtersprüche“ (96, 8). Demgegenüber erfüllt der Gedanke an das Gericht viele Christen eher mit Furcht und Schrecken – und das nicht ganz ohne Grund. Denn wie auch das Alte Testament schon wusste: Vor Dir ist kein Lebender gerecht (Psalm 142, ähnklich Prediger 7, 20). Im Judentum war dieses Wissen jedoch zurückgedrängt oder sogar ganz verdrängt – die Fülle der Gesetzesvorschriften, die eindeutig zu sagen schienen, was zu tun und zu lassen ist, konnte leicht die Illusion hervorrufen, sich bei strenger, wenn auch nur äußerlicher, Einhaltung dieser Vorschriften für gerechtfertigt zu halten. Ein starker Zug zur Selbstgerechtigkeit ist auch bei den Frommen des Alten Bundes nicht zu übersehen – Christus selbst hat diesen Zug nicht nur in der Auseinandersetzung mit den Pharisäern mehrfach scharf kritisiert, und der ehemalige Pharisäer Paulus ist da in seinem Brief an die Römer ganz eindeutig: „Aus den Werken des Gesetzes wird niemand vor Gott gerecht werden“ (3, 20).

Im christlichen Verständnis sind jedenfalls die Begriffe des Richters und des Gerichtes sehr stark mit dem Gedanken an verurteilen und bestrafen verbunden – vielleicht ein Erbe der lateinischen Rechtstradition. Dabei zeigt allerdings die deutsche Sprache bei der Wortfamilie „richten“ die gleiche Doppeldeutigkeit , die schon das Hebräische kennzeichnet (und die im lateinischen „judicare (Recht-sprechen)“ bestenfalls in Spuren wahrnehmbar ist: Richten heiß etwas, das nicht richtig ist, richtig zu machen, zu berichtigen, die Dinge und die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Und so sieht es auch der tief im Judentum verwurzelte Seher Johannes, wenn er in seiner Offenbarung (21, 4) über das Ergebnis des „letzten Gerichtes“ schreibt: Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. … Seht, ich mache alles neu.“ Wenn das kein Anlaß zur Freude ist.

Und genau diese Freude bringt Psalm 97 villeicht am eindrucksvollsten unter den Lobespsalmen dieser Reihe zum Ausdruck – und zwar ohne der Frevler, die das Gericht nicht bestehen (ihnen widmet sich ausführlich der dadurch ein wenig aus der Reihe fallende Psalm 93 ), auch nur eines einzigen Gedankens zu würdigen. Und so kommt der Psalm mit 9 Versen aus, die sich zwei Teilen zuordnen lassen. Der erste Teil (1 – 3) gedenkt in sehr allgemeinen Wendungen (darauf wird noch gesondert einzugehen sein) der Heilstaten des Herrn. Der zweite (4 – 9) zieht daraus quasi als Schlußfolgerung die Aufforderung zum großen Lobgesang, in dem sich die Stimmen und das Saitenspiel der Gerechten mit dem Jubel der ganzen Natur verbinden – im Lob dessen, der kommt, um den Erdkreis wieder auf die göttliche Ordnung hin auszurichten.

Im jüdischen Verstädnis ist das eindeutig teleologisch zu lesen. Aus christlicher Sicht klingt mit Joahannes 3, 19 an, daß der Erlöser ja schon gekommen ist, daß die Sünde schon gerichtet, daß die Ordnung schon wieder hergestellt ist. Denn jetzt ist die Zeit gekommen, in der Gott Gericht hält; und es beginnt an seinem Haus, in der Gemeinde. (1. Petrus 4, 17). In dieser Perspektive spricht Psalm 97 also nicht vom Ende der Zeiten, sondern vom Kommen des Messias. Und von daher fällt dan auch ins Auge, daß der erste Abschnitt in seinen drei Versen mindestens ebenso viele Stichworte oder Gedankenbilder enthält, die dann später in den Cantica des Lukasevangeliums in unmittelbare Verbindung mit der Menschwerdung des Herrn stehen. Vers 1 läßt das „fecit potentiam in brachio suo“ des Magnificat anklingen, Vers 2 das „salutare tuum, quod parasti ante faciem omnium populorum, und Vers 3 wieder aus dem Magnificat das „suscepit israel puerum suum“.

Wir wissen nicht, inwieweit Lukas seine drei Cantica freischöpferisch selbst gedichtet hat oder wieweit er auf vorhandene Berichte aus der Familiengeschichte Jesu zurückgreifen konnte. Es ist sogar denkbar, daß die Gottesmutter Maria zur Zeit der Abfassung des Evangeliums (es werden Daten zwischen den Jahren 60 und 80 genannt), noch gelebt hat und Lukas oder seinen Gewährsleuten direkt Auskunft geben konnte. Aber wer auch immer diese Cantica – reines Altes Testament im Neuen – überliefert und aufgeschrieben hat – mit Psalm 97 war er sicher bestens vertraut.

Letzte Bearbeitung: 16. April 2024

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