Non nobis, Domine — Ps. CXIII-b. (115)

„Die Götzen der Heiden sind nur Silber und Gold, ein Machwerk von Menschenhand“. (113b; 4)
Vielleicht weckte gerade diese Schlichtheit bei den Alexandriner Juden – das waren schließlich Griechen mit tief sitzenden philosophischen Gewohnheiten – das Bedürfnis nach einer gewissen theologischen Vertiefung oder zumindest Explikation des Gedankens, und dazu lieferte Psalm 115 durchaus gewisse Ansatzpunkte, vor allem in seinen Versen 1 und 3. Nicht Israel selbst hat das Wunder des Exodus und der Landnahme geschaffen, sondern sein Gott, der im Himmel thront und mächtiger ist als alle anderen Götter und alles vollbringt, was er will. Das ist der Kerngedanke von Psalm 113 b bzw. 115, der hier in einer außerordentlich starken, ja geradezu aggressiven Form vorgetragen wird.
In einigen anderen Psalmen (z.B. 15, 49, 81) lassen sich zumindest noch Reste älter Vorstellungen vorfinden, die die Existenz anderer Götter oder Götterwesen nicht grundsätzlich verneinen – aber das sind „fremde Götter“ von „fremden Völkern“, und gehen Israel nichts an. Israel hat seinen eignen Gott und Schutzherrn Jahweh, der allmählich als nicht nur mächtigster, sondern auch als einziger „wahrer Gott“ erkannt wird.
Diese Erkenntnis ist in Psalm 113 b/115 voll ausgereift und wird in einer Kette kraftvoller Beschimpfungen ausgebreitet: Die fremden „Götter“ sind nur Götzen, sind nur Werke aus Menschenhand (Vers 4) und aus Menschengeist, muß man dazu denken, sie sind nicht mehr als tote Materie. Dem schließt sich in Vers 8 ein kräftiger Fluch an: Die solche Götzenbilder verfertigen und anbeten sollen, da sie ihre Hoffnung auf tote und unwürdige Gebilde setzen, auch selbst dem Tod verfallen.
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, daß mit dieser Abschwörung und dieser Verfluchung eine Zäsur eintritt und mit den folgenden Gottesanrufungen und Segensbitten (9 – 15) ein neuer Abschnitt beginnt. Doch später wird in Psalm 134/135 ein diese vermutete Zäsur übergreifender Teil dieser Verse (4 – 10) wörtlich wiederholt, so daß man annehmen muß, daß dieses Abschwören von den falschen menschengemachten Göttern und die dreifach wiederholte Vertrauensbekundung gegenüber dem wahren Gott eine gedankliche Einheit bilden. Was ja auch logisch gut nachvollziehbar ist. In diese Einheit gehören dann wohl auch noch die Segensbitten der Verse 12 – 15, selbst wenn diese in Psalm 134/135 dann nicht wieder auftauchen. Das „qui fecit caelum et Terram“ von Vers 15, das in ähnlichem Wortlaut noch in mehreren anderen Psalmen erscheint, ist denn auch von der Kirche für Bitt- und Segensformeln übernommen worden.
Man kann sich gut vorstellen, daß der größere Teil von 113b/115 (mindestens wohl die Verse 3 – 15) in einem liturgischen Zusammenhang gebraucht oder daraus direkt übernommen worden sind – Belege für eine solche Vermutung gibt es wie in allen derartigen Fällen freilich nicht. Möglicherweise aus dem Rahmen einer solchen liturgischen Verwendung – nicht jedoch aus dem gedanklichen Gesamtzusammenhang – fallen die drei letzten Verse, die wie ein belehrender Anhang erscheinen. Vers 16 stellt noch einmal den grundlegenden Unterschied zwischen der menschlichen und göttlichen Sphäre vor Augen. Vers 17 kann als Mahnung verstanden werden, dem Herrn die geschuldete Anbetung und Ehre zu erweisen, so lange man das noch kann – denn die Toten können das nicht mehr.
Und schließlich im letzten Vers die Nutzanwendung, daß wir Lebenden den Herrn preisen sollen und wollen, von nun an bis in Ewigkeit — wie die ebenfalls von der Kirche übernommene Formel „ex nunc et usque in saeculum“ aussagt. Das jüdische Verständnis dieser abschließenden Mahnung ist nicht leicht in all seinen Schattierungen zu erschließen – weder hinsichtlich der schattenhaften Existenz im Totenbereich, in der es keinen Zugang mehr zu Gott gibt, und hinsichtlich der Vorstellung von Ewigkeit. Die Vollendung der im alten Testament heranreifenden Offenbarung durch die Lehre Christi und der Apostel hat diese Nebel weitgehend zerstreut und die Möglichkeit eröffnet, diese Schlußverse mit größerem Verständnis und ganzer Bejahung zu beten: Von nun an und in Ewigkeit, Amen.
Letzte Bearbeitung: 18. April 2024
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