Domine, non est exaltatum — Ps. CXXX (131)

Links im Bild als beherrschende Figur der Familienvater oder ein Schriftlehrer, vor ihm auf dem Boden sitzend Frauen mit ihren Kindern. Auch ein Mann mit seinem Sohn tritt hinzu.

„Wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele ruhig in mir.“ (130; 2)

Psalm 130 ist wieder eines jener kurzen (mur drei Verse) und – auf den ersten Blick gesehen zumindest – einfachen volksliedhafter Lieder, die ihre Kraft aus poetischen Bildern beziehen: Das (ehedem) stolze Herz, Sitz der Antriebskräfte des menschlichen Handelns und Wollens, hat seinen Hochmut abgelegt und läßt die Seele zur Ruhe kommen. So wie ein Kind, das satt und zufrieden an der Brust der Mutter eingeschlafen ist. Das ist keine Resignation, sondern einfach ein Zustand der Ruhe und des inneren Gleichgewichts, den der Dichter und die Beter darauf zurückführen, daß sie ihren Platz in der Welt und vor allem vor Gott erkannt und akzeptiert haben und nicht (mehr) versuchen, nach dem zu greifen, was „zu hoch“ für sie ist. In dieser Ruhe, von dieser Ruhe aus, öffnet sich die Perspektive auf die vertrauensvolle Erwartung des Herrn, für den Beter und für das ganze Volk.

Moderne Erklärer haben versucht, den Psalm einer „Beterin“ in den Mund zu legen und als Ausdruck spezifisch weiblicher Erfahrung zu deuten. Nichts in den Urtexten deutet darauf hin, und der Gedankengang scheint dem eher zu widersprechen. Zwar kennt das Alte Testament eine ganze Reihe „starker Frauen“, die ihren Mann da stehen, wo Männer versagen – aber dem gesellschaftlichen Alltagsleben, in dem gerade die Wallfahrtslieder so stark verwurzelt sind, liegt das durchau fern.

In diesem Alltagsleben hatten die Frauen einen Platz, an dem sie zwar nicht im moder­nen Sinne „unterdrückt“ waren, der sie aber kaum der Versuchung aussetzte, mit Dingen umzugehen, die „zu hoch“ für sie waren. Zumindest galt das für die Masse des Volkes, der die Wallfahrer und die Mehrzahl der Beter auf den Stufen des Tempels zweifellos ange­hörten. Bei den Frauen des Adels mag das anders gewesen sein, wenn man daran denkt, wie standesbewußt der Prophet Samuel (2Sam 6) Sauls Tochter Michal, eine der Frauen Davids, auftreten läßt. Von den Heldinnen, die Ihre Weiblichkeit als Waffe einsetzten, um feindliche Heerführer umzubringen, ganz zu schweigen.

Letzte Bearbeitung: 19. April 2024

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