Exaltabo te, Deus meus — Ps. CXLIV. (145)

„Ich will Dich preisen, Herr, mein König, und Deinen Namen auf ewig rühmen“ (144; 2)
Vielleicht haben die Schriftgelehrten, die dem Buch der Psalmen seine endgültige Gestalt gegeben haben, diese zum Abschluß der Besprechung von Psalm 143 angeführte Gefahr ebenfalls gesehen. Jedenfalls haben sie im folgenden Psalm 144 einen bemerkenswerten Gegenakzent gesetzt, damit die Beter den Herrn nicht allzu sehr auf seine – auch von ihnen durchaus anerkannte – Rolle als Helfer und Verbündeter in irdischen Angelegenheiten reduzieren.
Das hier vorgetragene Gotteslob ist absolut und nachgerade bedingungslos. Es preist den Herrn wegen seiner Größe und seiner Herrlichkeit und fordert alle Gläubigen - fast möchte man sagen: alle Menschen guten Willens – auf in sein Lob einzustimmen. Die hebräische Version, die hier sicher die ursprüngliche Form darstellt, läßt die Verse mit den Buchstaben in der Ordnung des Alphabets beginnen. Das ist an dieser Stelle wohl nicht nur ein mnemotechnisches Hilfsmittel, sondern auch Ausdruck des Anspruchs, daß dieser Psalm sein Thema „von A bis Z“ durchbuchstabieren will – und dieses Thema ist das Lob Gottes.
Gegenstand des Lobes ist vor allem Gottes unerforschliche Größe (3) und der Glanz seiner Hoheit (5), seine Güte und Gerechtigkeit (7) und der herrliche Glanz seines Königtums (11). Darin eingeflochten ist der Ausdruck der Einsicht, daß all das doch nicht ohne die Beziehung Gottes zu seiner Schöpfung und insbesondere zu seinem Volk zu denken, zu den seinen Werken (4) und der Gewalt seiner erschreckenden Taten (6). Diese menschliche, besser vielleicht: „geschöpfliche“ Perspektive tritt dann etwa ab Vers 7 immer stärker in den Vordergrund – in das Lob mischt sich der Dank für Gottes Güte, seine Gnade und sein Erbarmen, durch das sich sein Königtum gegenüber allen anderen Mächten und Herrschaften auszeichnet. Der Gott Israels ist eben nicht nur ein Gott „für sich“, der unnahbar über den höchsten Himmeln thront, sondern er ist ein Gott der Beziehung, der die Seinen – wer alles dazu gehört, wird bemerkenswert wenig spezifiziert – nicht nur regiert, sondern auch erhält, im Großen wie im Kleinen: Der Herr stützt alle, die da fallen, und richtet die Gebeugten auf; alle Augen richten sich auf ihn, und er gibt ihnen Speise zur rechten Zeit. Wo der Anfang des Psalms eher den Allmächtigen besingt, der im unzugänglichen Licht wohnt, preist er ihn gegen Schluß als den, der allen nahe ist, die ihn aufrichtig anrufen – und das ist hier kein Gegensatz.
Erst ganz am Schluß scheint Psalm 144 in Vers 20 dann wieder in das dogmatisch gebotene Grundmuster des Tun-Ergehens-Zusammenhanges zurückzufallen: Es beschützt der Herr alle, die ihn lieben – und die Sünder vernichtet er. Aber diese als Reinigung erhoffte Vernichtung der und des Bösen bleibt hier nicht (wie etwa in 111) das letzte Wort. Statt dessen schließt der Psalm auf der hellen Note, die bereits in den ersten Strophen dominierte: Mein Mund soll das Lob des Herrn verkünden, und alle Schöpfung soll seinen Namen preisen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Nicht nur in der Anrufung des ewigen Königtums, sondern auch in dieser Erlösungsgewißheit zeigt Psalm 144 seine Verwurzlung in einer Zeit starker messianischer Erwartung.
Daher ist es wohl auch kein Zufall, daß Psalm 144 in seiner Tonalität in einigen Passagen dem „Gloria in Excelsis Deo“ nahekommt/vorbereitet, mit dem die Kirche im Anschluß an den Gesang der Engel von Bethlehem die Erfüllung der uralten Hoffnung des Gottesvolkes feiert. Wie dieses richtet er sich an alle „Menschen guten Willens“ . Und wie Psalm 144 ist das Gloria in seinem Hauptinhalt ein Lobgesang auf die Größe des Herrn und Ausdruck des Dankes nicht nur für seine Wohltaten, sondern auch für seine große Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit und der Glanz seines Namens, darin stimmen Psalm 144 und das Gloria überein, stehen im Zentrum dessen, wofür seine Geschöpfe dem Allmächtigen zu danken haben. Alles andere ist nur Beigabe.
Letzte Bearbeitung: 22. April 2024
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