Cantate Domino canticum novum —
Ps. CXLIX (149)

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Als Enstehungssituation dieses Psalms wird allgemein die Zeit nach der Befreiung aus dem Exil angenommen, als die aus der Gefangenschaft Befreiten froh in die Heimat zurückkehrten und dem Herrn „mit Pauken und Trompeten“ für die Erlösung dankten. Dabei geht es zunächst wohl um eine feierliche Dankprozession, Die „Trompeten“ treffen es im Deutschen wohl besser als die „Harfen“ der üblichen Vorlagen, zumal wir wenig wissen über die „Orchestrierung“ von solchen Prozessionen. Blasinstrumente waren jedenfalls bei Umzügen wohl immer dabei, während „Harfen“, also gezupfte Saiteninstrumente, eher der Begleitung des Gesangs von Solisten oder Chören dienten. Aber das sind nur Nebensächlichkeiten.
Schon ab Vers 5 stößt der Versuch einer „realistischen“ Lektüre des Psalms auf Schwierigkeiten, wen dort zum einen vom „Jauchzen auf den Lagern“ und dann vom „zweischneidigen Schwert in der Hand“ die Rede ist. Was hier mit „Lager“ gemeint ist, wird sehr verschieden erklärt – die Versuche reichen von „Gebetsteppichen“ bis zu den „Grabstätten, aus denen sich die Auferstandenen erheben“. Unsereins fragt sich, ob damit nicht – ähnlich, wie das die Mahlsitten von Griechen und Römern nahelegen – vielleicht ganz trivial Lager/Polster gemeint sind, auf denen die Feiernden sich beim Dank- und Festmahl um die Tisch lagerten. Das würde dann noch gut in den angenommenen Kontext einer Dank- und Freudenfeier passsen, der sich bei den ersten vier Versen aufdrängte. Ob die Juden in früher Zeit wie später Römer und Griechen zu Tische „lagen“, ist allerdings nicht sicher bekannt. Das Pasche-Mahl jedenfalls wurde stehend verzehrt - als Ausnahme.
Schwierig wird es mit dem zweischneidigen Schwert. Mit dem zweiten Teil von Vers 6 kippt der Psalm zumindest für ein heutiges Verständnis aus der Perspektive des Dankes für die erfolgte Befreiung in die Erwartung eines Straf- und Rachegerichtes an den Heidenvölkern – also doch wohl an denen, die Israel in der Vergangenheit so viel Leid und Unrecht zugefügt hatten. Die frühen christlichen Erklärer, die sich dabei auch schon auf jüdische Kommentatoren stützen konnten, haben sich große Mühe gegeben, diesen Perspektivwechsel zu spiritualisieren. Wegzulenken von dem naheliegenden Gedanken eines Rachefeldzugs gegen alte Feinde und hinzulenken auf den Sieg des neuen Bundes, der mit dem zweischneidigen Schwert des Gotteswortes (Hebr. 4,12) den Kampf gegen das Böse in der Welt führt und den Sieg verleiht.
Als nachträgliche Sinngebung, ja sogar Zurechtrückung, aus der ganzen christlichen Sicht auf die Heilsgeschichte ist das sicher möglich und hilfreich. Als Versuch, diese Deutung als den eigentlichen und von Anfang an gemeinten Inhalt der Verse herzustellen, scheint es wenig überzeugend. Bei der „Inkarnation“ des Wortes Gottes in die Menschenwelt und der Erziehung des auserwählten Volkes zum Empfang des wahren Erlösers (und nicht des von vielen erhofften weltlichen Messias) waren gewisse „Verunreinigungen“ aus dem Geist der Menschenwelt nicht zu vermeiden. Zumindest nicht, solange nicht das Fleisch gewordene Wort Gottes sich seine ganze gefallene Schöpfung wieder erneut anverwandelt.
Während wir Heutigen dazu aufgerufen sind, diese geheimnisvolle Anverwandlung immer besser zu verstehen und auch uns selbst nachzuvollziehen, dürfen wir getrost davon ausgehen, daß den jüdischen Betern von Psalm 149, zumindest den allermeisten unter ihnen, diese Denkweise unzugänglich geblieben war. Sie blieben befangen in der Weltsicht des Tun-Ergehens-Zusammenhanges (in der der Rachegedanke seinen legitimen Ort hatte), und daß es ihnen als fromme Erfüllung der von Gott gewiesenen Aufgabe und heilige Pflicht gelten konnte, die „Herrscher der Heidenvölker in Ketten zu binden und an ihnen das vorgeschriebene Gericht zu vollziehen“, wie es die Verse 8 und 9 anzuordnen scheinen. Anders konnten sie sich die Verwirklichung der „Königsherrschaft Gottes durch Israel“ – so betitelt die Einheitsübersetzung von 2016 Psalm 149 – wohl einfach nicht vorstellen.
Letzte Bearbeitung: 22. April 2024
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